Was ist Haiku |
I. Einführung - sprachliche Bedingungen |
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Um einen allgemeinen Eindruck von der japanischen
Lyrik zu erhalten, muß man erst etwas über die japanische Sprache
wissen:
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Sie ist mehrsilbig und hat 47 Laute, fünf davon sind
Vokale. Man spricht nicht von einem Alphabet, sondern von einem
Silbensystem, I - RO - HA genannt nach den ersten drei Silben.
Geschrieben stehen diese 47 Silben in sieben Reihen mit jeweils sieben
Silben außer der letzten mit nur fünf Silben.
Ursprünglich war dieses Silbensystem ein Gedicht. Wenn es in acht Reihen
geschrieben wird, mit abwechselnd sieben und fünf Silben, kann man es so
lesen:
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1. I - ro ha ni-ho-he do |
7 Silben |
2. chi-ri nu ru wo, |
5 Silben |
3. wa-ga yo ta-re zo |
6 Silben |
4. tsu-ne na-ra mu, |
5 Silben |
5. wu-wi no o-ku-ya-ma |
7 Silben |
6. ke-fu ko-e te, |
5 Silben |
7. A-sa-ki yu-me mi shi |
7 Silben |
8. E-hi mo se zu. |
5 Silben |
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Wörtlich Übersetzt:
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1. Farben machen mich leiden mit ihrer
Macht. |
2. Wie sie verblassen! |
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3. In unserer Welt, |
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4. Was ist von Dauer? |
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5. Tiefe Berge des Seins |
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6. Durchquerte ich heute, |
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7. Und seine hohlen Träume |
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8. Berauschten nie meine Seele. |
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Der Dichter dieses Verses, als Kôbô Daishi (gestorben 835) hat es in
genialer Weise fertig gebracht, alle 47 Silben zu verwenden, ohne auch
nur eine zu wiederholen.
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Die Regeln der japanischen Verskunst sind äußerst
einfach, sie verlangen weder Reim noch Silbenmaß. Das Besondere liegt
darin, daß die Zeilen immer abwechselnd aus 7 oder 5 Silben bestehen.
Die zweite wichtige Forderung ist, daß man in der Dichtung gar keine
oder möglichst wenige Fremdwörter und keine Wörter des vulgären
Sprachgebrauches verwendet. Der moderne Fortschritt hat die japanischen
Dichter vor eine strenge Prüfung der sprachlichen Reinheit gestellt, sie
müßen mit einfachen alten Wörtern neue Ausdrücke schaffen. |
Die Gesetze nach denen ein Gedicht gemacht wird, sind
also denkbar einfach, man wählt klassische Wörter, schreibt sie in
Zeilen von abwechselnd sieben und fünf Silben und kann so beliebig lange
Gedichte schreiben. Aber von Anfang an wurde dem fünfzeiligen Gedicht
der Vorzug gegeben, mit 5, 7, 5, 7, 7 Silben, zusammen 31 Silben. Das
typische japanische Gedicht, UTA oder TANKA genannt, besteht also nur
aus 31 Silben, die zusammen vielleicht nur ein Dutzend Wörter formen.
Von diesen fünf Zeilen bilden die ersten drei den oberen Halbvers und
die letzten beiden den unteren Halbvers.
Die Kürze der japanischen Gedichte hat eine große Bedeutung, es gibt
zwar auch lange Gedichte, aber sie sind selten - besondere Gefühle
lassen sich am besten mit wenigen Worten ausdrücken. Es gibt viele
Wörter mit verschiedener Bedeutung, diese Zweideutigkeit ist das
Geheimnis der japanischen Dichtung.
Man muß sich unbedingt auf das besinnen, was im Gedicht nicht
geschrieben worden ist, also zwischen den Zeilen lesen. Japaner sind mit
Recht stolz auf die Ausdruckskraft ihrer Sprache, wie viele Wörter und
Silben sind notwendig, um Gedanken, die im japanischen mit 31 Silben und
vielleicht nur 12 Wörtern ausgedrückt sind, zum Beispiel ins Deutsche zu
übertragen! |
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